HERBERT KREIL Ein Lebenswerk 1928 - 1990 Willkommen in diesem interaktiven virtuellen Museum. Sie können hier das malerische Werk von Herbert Kreil entdecken. In sieben Sälen sind 60 Gemälde und Zeichnungen aus den drei Hauptperioden des Malers zu sehen. |
Herbert
Kreil -
eine Werkbeschreibung
von Gisela Fischer DAS FRÜHE WERK. Das kleine, 1952 entstandene Gemälde DER SPATZ ist eins der überzeugendsten Porträts im Werk des Münchner Künstlers Herbert Kreil, und in seiner architektonischen Klarheit und sinnlichen Dichte verweist es schon auf ein sehr viel späteres Werk, die ITALIENISCHE LANDSCHAFT, mit der Kreil 1964 den Preis des Münchner Herbstalon gewann und aus dem Schattendasein eines noch unbekannten Künstlers ins Licht allseitiger öffentlicher Anerkennung und bleibenden öffentlichen Interesses trat . Zwischen diesen beiden Bildern liegt eine zwölfjährige Schaffensphase, in der Kreil sich einerseits mittels einer Portraitmalerei, die das Wesenhafte eines Menschen zu erfassen suchte, einen kargen Lebensunterhalt verdiente, andererseits einige seiner ersten BILDNISSE schuf, Phantasieportraits, in denen er historischen oder legendären Frauengestalten anfangs - dem Stil des Frühwerks entsprechend - ein geheimnisvoll-schemenhaftes Leben verlieh; denen er später - gemäß dem ornamentalen Stil der mittleren Periode - ein dekorativ-ikonenhaftes Denkmal setzte . Zu den ersteren gehört die schöne, durch den Mob der fanzösischen Revolution grausam zu Tode gekommene Hofdame der Königin Marie-Antoinette, Prinzessin Lamballe; zu den letzteren Barbara Blomberg, Geliebte Kaiser Karls V., Botticellis Simonetta Vespucci, oder auch die märchenhafte Bezwingerin eines frauenmörderischen orientalischen Fürsten, Scheharazade. Das Interesse Kreils galt also Frauengestalten mit nicht nur ungewöhnlicher, sondern auch erotisch unkonventioneller Biographie. Es entstanden im besagten Zeitsaal die ersten Achitektonischen Landschaften. Zunächst stark reduzierte Vorstadt- und Industrieansichten, deren poetische Ödnis durch vereinzelt eingestreute schematisierte Figuren oder Figurengruppen noch erhöht wird (bezeichnender Titel einer Arbeit von 1962 ist: MANN OHNE ZUKUNFT), deren teils intensive, oft eine nahezu mystische Wärme ausstrahlende Farbigkeit aber schon einen Grundzug der Malerei Kreils erkennen läßt: Die psychische Dynamik und Symbolkraft der Farbe, sowie die Dominanz eines sieghaft-sinnlichen Rot, das sich, gleich einem gedämpft optimistischen Cantus firmus, hindurch zieht durch ein überwiegend melancholisch bis düster gestimmtes Werk. Mit den ruhevollen, in ein allseitiges magisches Licht getauchten architektonischen Stilleben, die in der Mitte der sechziger Jahre entstanden, erreicht das Werk Herbert Kreils einen ersten Höhepunkt. ITALIENISCHE LANDSCHAFT und DAS GRÜNE HAUS imponieren sogar mit einer formvollendeten Schlichtheit, wie sie vergleichbar bei diesem Künstler erst ganz am Ende seiner Laufbahn, dann aber befreit von allem Zauber des Magischen, in dem kleinen Zyklus HOMMAGE à FRANZ SCHUBERT wiederkehrt. Kunsthistorisch naheliegende Beispiele für die magische Gegenwärtigkeit der Dinge, wie Kreil sie in diesen frühen Arbeiten erzeugt, finden wir in der Pittura metafisica de Chiricos, und mehr noch im Magischen Realismus der zwanziger Jahre. Mit dem bedeutsamen Unterschied, dass die naiv-poetische Imagination Kreils den feinen Bruch zwischen objektiver Realität und magischer Aufladung, der diese Kunstrichtung kennzeichnet, überwindet und ein neues, völlig homogenes saalzeitliches Kontinuum schafft, das einer anderen, rein psychischen Welt anzugehören scheint. Es manifestiert sich hierin eine Relevanz der seelischen Dimension, zu der sich Kreil ausdrücklich bekennt, und die, verbunden mit einer sehr persönlichen Ideenwelt. vor allem seinem mittleren Werk den Charakter einer grüblerisch- intimen, fast privat zu nennenden Kunst verleiht. Das Postulat einer subjektiv-imaginären Schau als eines originären und überlegenen künstlerischen Standpunkts ist bei Kreil Ursache und Rechtfertigung für das Festhalten an der - Bildhaftigkeit verbürgenden - Gegenständlichkeit, für die dienende Funktion der Form, und schließlich auch für die Wahl seines späteren phantastischen Sujets sowie die symbolisierende Behandlung all seiner Bildinhalte, mit Ausnahme derer des Spätwerks. Im Frühwerk Kreils ist es das Haus (in der modernen Traumforschung ein Symbol des Ich...), das wie kein anderer Bildgegenstand als Leitmotiv und Träger eines seelischen Inhalts erscheint. Es begegnet uns in zweierlei Kontext und in zweierlei Gestalt: In den gemischten Landschaften (solchen mit szenischem Hauptmotiv) als monumentaler, archaischer Baukörper mit der Aura "tektonischer Zeichen" des Altertums; in den reinen Architekturlandschaften als massive Idealform eines mediterranen Wohnhauses, wie DAS GRÜNE HAUS und ITALIENISCHE LANDSCHAFT es uns vor Augen führen.
In auffallendem Gegensatz zu diesen beiden Inbildern eines
mythischen Urzustands der Seele steht eine Gruppe anderer,
fast gleichzeitig entstandener Arbeiten, zu denen das Bild
DIE NACHT gehört. Aus der Tiefe einer in Finsternis
getauchten Landschaft, gleichsam aus dem Erdinnern
hervorquellend, wälzt sich, vorbei an einem jener
monumentalen Baukörper, eine unendlich erscheinende,
fähnchentragende und netzartige Gebilde über ihren Köpfen
mit sich führende Prozession gespenstischer uniformer
Gestalten dem Betrachter entgegen.
Eine Metapher für die erst kurze Zeit zurückliegende, mitten
in die Adoleszens des Künstlers hereinbrechende
Schreckensherrschaft des Dritten Reichs? - Der Gedanke liegt
nahe: Herbert Kreil erlebte die Okkupation seiner böhmischen
Heimat durch die Nationalsozialisten im Alter von zehn
Jahren, wurde mit Sechzehn zum Kriegsdienst eingezogen,
erlebte den Tod der Anderen, und am eigenen Leibe Bedrohung,
Hunger, Gefangenschaft, Flucht und den endgültigen Verlust
seiner Heimat noch vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter.
DIE NACHT ist nicht das einzige Bild, das an diese
Zusammenhänge erinnert. - Gleichsam im Dämmerlicht zwischen
dieser Nachtvision eines unheimlichen, dem Untergang
zustrebenden Aufbruchs und dem friedvollen Tagtsaal der
ITALIENISCHEN LANDSCHAFT steht als ergreifendes Sinnbild
eines mißbrauchten Glaubens und zerstörten Vertrauens das
Bild KUNDGEBUNG, in dem ein weißes Schild - oder der Flügel
eines zerschellten Flugzeugs? - mit der Aufschrift KIND in
eben jener, wiederholt im Frühwerk Kreils auftretenden,
gesichtslosen Menge versinkt, während der Betrachter - ein
für Kreil typischer suggestiver Kunstgriff, der in seinem
späteren Werk noch an Bedeutung gewinnt - als Mittäter (hier
in der Position des Redners) die stumme Anklage
entgegennimmt. Eine architektonische Landschaft in hellem, lebhaften Zinnoberrot. beherrscht von einem großen Tor, das im oberen Drittel des Bildes die Landschaft begrenzt und den Durchblick auf ein zweites Tor in der Ferne freigibt, symbolisiert eindrucksvoll die Wende, die sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre im Werke Kreils vollzieht. Treffender als das namengebende Pferd (DAS PFERD) - ohnehin ein für Kreil ganz untypisches Motiv - künden das Tor als Symbol der Öffnung und des Durchgangs in andere Räume, die kleine, kaum wahrnehmbare, gleichsam aus dem Erdboden hervorwachsende Gruppe menschlicher Gestalten sowie ein noch erdhaft-kristallines florales Gebilde im Vordergrund die künftige Bildwelt an. Die düster-massiven, mal an Bunker, öfter aber an Totentempel oder Göttersitze versunkener Kulturen erinnernden Baukörper des Frühwerks werden abgelöst von dem Tor, das seinerseits zunehmend in den Hintergrund rückt und schließlich ganz aus dem Bild verschwindet.
DER THEMENWECHSEL, der nun folgt, wirkt im
Rückblick über das Gesamtwerk so unvermittelt und
fundamental, dasssich die Frage nach einem möglicherweise
ausser-künstlerischen Anlass stellt, die zu beantworten hier
aber nicht der Ort ist. Über eine Zwischenphase des Suchens,
mit Arbeiten von stark illustrativem Charakter, gelangt
Kreil zu seiner suggestiv-konfrontativen Figurenmalerei der
mittleren Periode. Wie ein unbeschwertes Vorspiel dazu
nehmen sich einige volkstümlich-poetische Parkszenen aus
(ALS ES STÜRMTE; DER TROMMLER), deren verbindlich-narrativer
Gestus die sich anbahnende hermetische Metaphorik mit ihrer
ornamentalen Stilisierung noch kaum erahnen lässt. GEISTER UND MENSCHEN heißt ein Bild aus dem Jahre 1973, und der Titel ist Programm. Es leitet jene Schaffensperiode ein und umreißt die Thematik, mit deren Arbeiten Herbert Kreil heute weltweit - überwiegend in privaten Sammlungen - präsent ist. Der leicht illustrative Charakter des ländlichen Kostümfests verschwindet, der Erzählton weicht einer neuen imaginativen Unmittelbarkeit. Was nun aber aus dem verborgenen menschheitsgeschichtlicher und individuell-psychischer Tiefen heraufsteigt und von der Leinwand Besitz ergreift, ist von einer neuen beunruhigenden Eigenart; und es zeigt im Bild GEISTER UND MENSCHEN erstmals - und so unverhüllt wie kaum ein zweites Mal - sein Gesicht. Das in der oberen Hälfte unvollendete Bild ist horizontal zweigeteilt. Im Hintergrund ein schlichtes, auf das Wesentliche (drei weibliche Akte, ein männlicher, in paradiesischem Müssiggang) reduziertes Nachspiel der vorangegangenen Parkszenen; im Vordergrund das neue Agens, "des Pudels Kern" vielleicht für den, dem, eingedenk der düsteren Nachtvisionen des Frühwerks, die heile Welt der Parkidylle schon nicht ganz geheuer war. Diese drei monströsen, dem Betrachter frontal zugewandten chimärischen Wesen ....
WER SIND SIE? - so der Titel eines anderen Bildes aus dieser
Schaffensperiode. Kreil selbst hat bekannt - und man tut
wohl gut daran, ihn beim Wort zu nehmen - dasser
Geisterreiche und Totenreiche male, oder einfach auch
Gespenster. Seine Bildtitel verraten etwas von der Spannung
des Ungewissen, das in jenem Grenzgebiet zwischen zwei
Wirklichkeiten herrscht, in dem Kreil sich, janusartig beide
Welten in einer Schau zusammenfassend, eingerichtet hat: "Von wem ist die Rede?", möchte der Betrachter fragen. Antwort geben soll allein das Bild, in dem semantische Vielschichtigkeit und magische Unmittelbarkeit sich zu einer aufs Unterbewusstsein zielenden und im Unterbewusstsein auch verstandenen Aussage verbinden: so vermutlich die Intention des Künstlers, der alle Bitten um Aufschlüsselung seiner Bildwelt stets mit freundlichem, aber beharrlichem Schweigen beantwortete.
Wenn Kreil nach Abschluss seiner Kunststudien den
akademischen Malstil des deutschen Spätimpressionismus, den
er nach der fünfjährigen - seine Vorstellungswelt nachhaltig
prägenden - Lehrzeit in der romantisch gelegenen Malschule
Schloss Weikersheim souverän beherrschte, verwarf und zu
einer neuen Einfachheit poetischen Bildgestaltens gelangte,
so ist darin ein Akt der Selbstfindung, die Konsequenz einer
oft bekundeten Suche nach Wahrheit und Authentizität zu
sehen. Zu dieser Authentizität gehört auch jene Aura des
Naiven, die schon die Architektonischen Landschaften des
Frühwerks wie ein magisch steigerndes Fluidum durchzieht und
ihnen die Intensität einer elementaren, appellativen
Botschaft verleiht. "Kunst ist Mitteilung, Offenbarung", sagt Kreil. Angewandt auf die Gestaltungsprinzipien seiner mittleren Schaffensperiode heißt dies, dassKreil mit seiner neu entwickelten formalen Rhetorik verhüllt, um mitzuteilen, verschlüsselt, um seiner Mitteilung die Faszination einer geheimen Botschaft und der Bilderzählung die Dynamik eines okkulten Geschehens zu geben. Eine neue, ins Literarische tendierende Intention verbindet sich im mittleren Werk des Künstlers mit der Manier, und führt zu einer immanenten, durchaus traditionellen Spannung zwischen Inhalt und Form, die dem Frühwerk Kreils fremd ist und die im Spätwerk wieder überwunden wird.
DAS MITTLERE WERK. Nicht wenige Bilder der
mittleren Schaffensperiode erleben einen langjährigen
Umgestaltungsprozess. Die ersten werden um 1973 begonnen,
abgeschlossen werden die letzten um 1980, und dabei
versinken nicht selten vollendete Werke unter der Flut
nachrückender Geisteregenerationen, die sich zu immer neuen
geheimnisvollen Handlungen unbestimmt-zeremoniellen
Charakters zusammenfinden. So ist das Werk der mittleren
Periode ständig im Werden, einem fließenden und einem
zugleich stufenweisen, in dem sich weitere Wandlungen sowohl
auf inhaltlicher als auch auf formaler Ebene vollziehen.
Welttheater? Larenfeste? Sacre du Printemps? Oder
Sittengemälde der Schwabinger Partygesellschaft der
sechziger und siebziger Jahre in opernhafter Inszenierung?
Vielleicht von allem etwas, will man den eingestreuten
Konterfeis aus dem persönlichen Umkreis Kreils, dem
Auftreten historischer Gestalten (beispielsweise Hitler in:
DIE ZEIT FLIEHT UNWIDERBRINGLICH), dem vielgestaltigen,
nicht selten sadistisch gefärbten erotischen Ritual, sowie
der komplexen Symbolik von Liebe, Macht und Tod - (verwiesen
sei hier auch auf die Todessymbolik der Farbe Schwarz, die
im mittleren Werk die Funktion der schwarzen Vogelmenschen
früherer Arbeiten wie DIE STUNDE DER UNHEILIGEN KÖNIGE oder
SIE KOMMEN, SIE GEHEN, übernimmt) - eine mehr als
vexierbildhafte Bedeutung beimessen.
Der antike Mythos, immer präsent im arkadischen Unterton der
Szenen wie auch in der versteckten Symbolik archaischer
Fruchtbarkeitsriten, wird in mindestens einem Beispiel
ausdrücklich thematisiert: Das Bild DIE DREI GRAZIEN) ist
den griechischen Göttinnen der Anmut gewidmet mit deren Fest
nächtliche Mysterien und musische Wettspiele verbunden
waren. Und DIE FAVORITIN) präsentiert uns eine Mischung aus
antikem Hetärenwettkampf (ein Thema, das Kreil nachweislich
beschäftigte) und moderner Schönheitsköniginnenwahl, deren
Jury aus drei entsprechend dekorierten Damen besteht, welche
im Hintergrund, unter dem nun schon vertrauten Motiv des
flügelblättrigen Baldachins mit der eingewobenen Botschaft tempus
fugit, ihr Preisrichteramt versieht. Den Übergang zum letzten Abschnitt der mittleren Periode im Werk Kreils markieren einige Arbeiten, in denen selbst Landschaftsformationen gespenstische Gestalt annehmen. Dann aber, gegen Ende der siebziger Jahre, sind die Reste einer landschaftlichen Kulisse und damit auch jeglicher illusionistische Saal aus den Bildern verschwunden. Geblieben ist die horizontale Gliederung in Unten und Oben: der untere, figürlich besetzte Teil der Bildfläche hat sich gelichtet und die verbliebenen männlichen Akteure nehmen, ihrer egalisierend-dekorativen Kostümierung und damit auch ihres theatralischen Gestus sich nach und nach entledigend, ein konkreteres, aber zugleich auch unheimlicheres Wesen an. Das Oben der Bilder, seit Mitte der siebziger Jahre von dem schon mehrfach erwähnten, weitgehend abstrakt-ornamentalen Gebilde eingenommen, füllt sich nun mit bildlichen Elementen von ungewohnter Aktualität. Objets trouvés: Fotos, Zeitungsausschnitte, Kinderzeichnungen , Kunstdrucke, Fahrkarten und andere Überbleibsel täglichen Treibens mischen sich mit Bildzitaten aus dem eigenen Werk. Es ist, als ob die Gegenwart und Wirklichkeit unserer Welt - im Bereich der bildnerischen Mittel in Form der Collage - hereinbricht gleich einem Licht in einen bis dahin hermetisch verschlossenen Raum. Die einander sehr ähnlichen, aber drei Jahre auseinander liegenden Bilder U.A.W.G. und DER WIND, DER WIND, DAS HIMMLISCHE KIND illustrieren den ersten Schritt dieser Wandlung beispielhaft. Und sie konfrontieren uns mit einer uns zwar schon bekannten, aber nun erst herausgehobenen und dadurch in ihrer Bedeutung vertieften Gestalt: dunkel, gebeugt, langnasig, bärtig und gelbgesichtig; angetan mit einem kaftanartigen Gewand, dessen Streifenmuster an einen jüdischen Gebetsschal erinnert, so tritt sie, die Vision eines Kabbalisten und Schwarzmagiers, hervor aus der mittleren Schaffensperiode - als ihr heimlicher Spiritus rector? In düsterer Phalanx, aufgereiht im Gegenlicht eines azurblauen Hintergrunds, erscheint sie noch einmal - und erstmals ganz ohne die Gaukelei nackter Gespielinnen - in dem Bild DIE ALCHIMISTEN. Hier verweist die Tizian-Gestalt Kaiser Karls V., figurierend als "Innenleben" eines der Magier noch einmal markant auf Kreils Vorstellung eines zeit losen saales, in dem Vergangenheit und Gegenwart zusammenfallen, Jenseitiges und Diesseitiges, Geister und Menschen, Wiedergänger und ihre Konspiranten ein und dieselbe Welt miteinander teilen. Es erinnert dies Tizian-Zitat auch - gleichsam Abschied nehmend, denn nichts ist geblieben von der geliehenen Pracht - an Kreils Liebe zur Kunst der Renaissance, die, gleich dem Mittelalter, für so viele Aspekte seines mittleren Werks, inhaltliche wie auch formale, eine Quelle der Inspiration war. So gespenstisch sie auch sind, die Sechs, die uns in dem Bild DIE ALCHIMISTEN gegenübertreten, ihre Bildpräsenz ist eine realere als die der bisherigen Geisterschau. In ihren dunklen Kutten, den überschatteten Gesichtern, in ihrer ruhigen, dem Betrachter zugekehrten Gegenwart, erinnern sie an ein Theaterdirektorium nach dem letzten Vorhang. Das Spiel ist aus ...
DAS SPÄTWERK. Das künstlerische Schaffen Kreils
indessen tritt in eine neue Phase ein. In den achtziger
Jahren
vollzieht sich noch einmal ein Wandel in seinem Werk, wie er
so radikal selbst zwischen Frühwerk und mittlerer Periode
nicht stattfand. Damals kam es zu einem Themenwechsel,
begleitet zwar von einer antikisierenden Revision der
Formensprache, aber das Prinzip der Gegenständlichkeit blieb
gewahrt. Nun löst sich Kreil aus seiner Lebensthematik,
bricht mit dem drei Jahrzehnte lang fast doktrinär
vertretenen Postulat der gegenständlichen Darstellungsweise
und tastet sich vor in eine Form der reinen Malerei. Er
zerbricht seine Formen und damit auch ihre Inhalte. Es wirkt
wie eine Befreiung aus einer Selbstverzauberung, aus der
Gefangenschaft eines übermächtigen Sujets, dem Bann einer
circeischen Muse. Der Vorgang ist ein allmählicher. Die
konstruktive Destruktion geht vom "Oben" aus, von jenem
Bereich, den man die Noosphäre in Kreils Bildern nennen
könnte. ROT VERSCHLINGT DIE ZEIT, eine 1975 begonnene und
1982 im Zustand halber Auflösung belassene Arbeit zeigt, wie
die Collage immer tiefer in den unteren Bildsaal vordringt
und von oben die "rote Tinktur" (der Stein der Weisen der
Alchemie...) als reine, ungeformte Farbe nachfließt. hier
noch im satten Ton gerinnenden Bluts, später, im Bild DER
VENUSBERG, gemäß dem umfassenden Prozess einer
Entstofflichung, übergehend in ein bläulicheres, luftigeres,
luzideres Rot. Es war eine Forderung der Romantik: der Kunst schaffende Mensch habe Maler, Dichter und Musiker in einem zu sein. Herbert Kreil hat diese Forderung wie selten ein Künstler erfüllt. Neben einer Vielzahl märchenhaft - surrealer, erotischer Anekdoten hinterließ er ein kleines literarisches Werk, Aphorismen und Gedichte, voll philosophischen Tiefsinns und burleskem Witz. Und obwohl er nicht ausübender Musiker war, muß doch die Musik als seine selbstverständlichste Begabung angesehen werden. Kreil war ein Connaisseur ohnegleichen, ein begnadeter Hörer, ein besessener Archivar der unterschiedlichen Interpretationen der Werke der Klassik. Die Musik war ihm immer neuer Impuls und treues Medium seines malerischen Schaffens. "Manchmal stört mich diese Welt da draußen ...", so gab er einmal zu Protokoll, "... dann tauche ich hier alles in Musik und lebe und male darin."
Es ist deshalb kein Zufall, wenn am Ende dieses Werks voller
verborgener Dramatik das Bild HOMMAGE a FRANZ SCHUBERT steht. Das Motiv ist ein Landschaftsausschnitt, ein Stück
Erdboden in nuancenreichen Brauntönen, senkrecht gegliedert
von schlanken, birkenhellen Baumstämmen, die Reflexe von
Himmelsblau und Sonnenlicht auf ihren Körpern sammeln.
Wuchernde Ausblühungen des Erdbodens, kaum noch
gespenstisch, ragen in einen abstrakt-weissen Hintergrund
empor. Die souverän
abstrahierende, an August Macke erinnernde Formensprache ist
neu; an die Stelle der monochromen, klar begrenzten Flächen,
aus denen sich die Arbeiten der mittleren Periode aufbauten,
tritt eine Bildgestalt, die vom Farbauftrag lebt und aus dem
Malvorgang Form und Lebendigkeit bezieht. Das Kolorit ist
abgeklärt - kühl wie nie zuvor. Titel und Bild stimmen
zusammen zu einer einfachen, unmittelbaren, von aller
Anstrengung und jedem literarischen Implikat befreiten
Aussage. |
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![]() NANORADIO H.Kfür einen Rundgang mit Musik |
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